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Wiens engagierte U30: "Und plötzlich hast eine Gemeinschaft"


Wiens engagierte U30: "Und plötzlich hast eine Gemeinschaft"

  • Die Presse
    26.10.2014

    Sie bringen Bioessen mit dem Lastenrad, beleben Märkte und Plätze, gründen Gärten und Galerien: Wiens engagierte U30 entscheidet sich für Sinn statt Geld – und bringt sich dabei mitunter selbst an die Grenzen.

    Es herrscht die Ruhe vor Mittag. Das Vier-Tische-Lokal ist noch leer, aber hell und warm, die Musik spielt, am Tresen steht ein Marmorguglhupf. Milchbart-Chef Christian Chvosta kommt in seiner Lederjacke frierend von einer Marktrunde, lässt sich einen Kaffee aus der Maschine rinnen und setzt sich an den kleinen Tisch mit Leselampe, der hier jungen Gästen manchmal zum Lernen dient.

    Toll sei das, was sich hier auf dem Meidlinger Markt tue, sagt er. Am Samstag hat es wieder ein Fest gegeben, mit einer befreundeten Band, die erst skeptisch gewesen sei („Auftritt auf dem Meidlinger Markt?“) und einem Typen, der vegane Crêpes verkauft habe (Chvosta: „Auf dem Meidlinger Markt!“). Die Band sei dann übrigens begeistert gewesen. „Wir nutzen den Markt als Forum“, erklärt Chvosta. „Der Markt ist wieder in den Lebensmittelpunkt gerückt.“

    Und er wächst: Vor zwei Monaten ist die Steirerin dazugekommen, die Wein und Sandwiches verkauft; nebenan gibt es jetzt eine Saftbar, gerade sperrt ein paar Stände weiter ein Craftbeer-Shop auf, betrieben von einem bisherigen Stammgast. „Es kommen jeden Tag Leute, die sich interessieren und das Potenzial erkennen.“


    Authentisch sein. 28 war Chvosta, als sein Vater, der selbst einst aus der Bank auf einen Markt „ausgestiegen“ war, den ehemaligen Kebabstand für ihn entdeckte. Davor hatte er an der Grafischen maturiert, eine Fitnesstrainerausbildung und – von klein auf gern in der Küche – bei den 3 Hacken die Kochlehre gemacht. Nach zwei Jahren hatte er genug von Umgangston und Arbeitszeit, kündigte und fuhr als Fotograf zwei Jahre lang auf einem Kreuzfahrtschiff um die Welt. „Höflichkeitsschulungen“ hätten sie dort gehabt, sagt er immer noch ungläubig. „Ich will keine Codes verwenden, sondern so sein, wie ich bin. Ich will authentisch sein, und das kann man als Angestellter nur schwer.“ Und beim Internationale-Entwicklung-Studium, das er drei Semester lang verfolgt hat, habe man ohnehin in der ersten Vorlesung erklärt, dass mit Jobs nicht zu rechnen sei.

    So kocht er seit zweieinhalb Jahren auf dem Meidlinger Markt, und staunt selbst, welche Dynamik sein Milchbart ausgelöst hat. Mit anderen hat er sich zur Initiative „Wir sind 12“ zusammengeschlossen, „und plötzlich hast eine Gemeinschaft. Ich hatte einmal eine Vorlesung über soziales Kapital. Das ist genau das.“ Die Jagd der Köche nach Hauben interessiert ihn nicht. „Ich weiß, was dahinter steckt, und das ist es nicht wert.“ Dafür ist er hier zum Ansprechpartner für Leute mit Ideen geworden. „Viele scheitern, weil es kein zuständiges Amt gibt.“

    Dieses Problem kennt auch David Stanzel. Mit 20 begann er, Gemüse in einem Gemeinschaftsgarten anzubauen. Heute ist er 31 und Teil des Vereins Gartenpolylog, der anderen hilft, ihre Gartenideen umzusetzen, ab dem Frühjahr gibt es einen eigenen Lehrgang. „Gemeinschaftsgärten sind für die Stadt immer noch ein neues Thema“, sagt er. „In der Verwaltung weiß man oft nicht, wer zuständig ist. Die Gebietsbetreuungen wachsen rein, aber verweisen oft auf uns, wenn es konkret wird.“


    Mitgestalten. Stanzel hat nach der Matura eine Ayurveda-Ausbildung gemacht, studiert Landschaftsplanung und arbeitet in einem Asylwerberheim. Die Gemeinschaftsgärten, glaubt er, würden deshalb immer populärer, „weil das Thema Ernährung in den Fokus gerückt ist; die globalen Zusammenhänge, wo unser Essen eigentlich herkommt. Und die Leute haben Lust, ihre Stadt mitzugestalten. Das klingt im Prospekt schön, ist in der Realität aber schnell schwierig, weil die Stadt schnell wächst und der Finanzdruck groß ist.“ Gemeinschaftsgärten liebt er, „weil es Spaß macht. In der Stadt kennt man seine Nachbarn ja sonst gar nicht. Hier hat man den Austausch, ohne dass es eine erzwungene Begegnung ist.“ Apropos Begegnung: Ein Grätzelfest mit dem Namen Chakalaka hatten auch Toni Tramezzini und Steffi Hofer geplant, allein, es fiel im September ins Wasser. Die beiden betreiben am St.Ulrichsplatz mit Eigensinnig ein Geschäft mit (schwarz-weiß-grauer) Avantgardemode – die zugehörige Fotogalerie musste wegen des großen Erfolgs der Mode selbiger weichen. Impulsgeber und Probebühne für ihre Selbstständigkeit war 2012 ihr Zwischennutzungsprojekt Fox House. Inzwischen gibt es so viele solcher Projekte, „dass ich gar nicht mehr alles mitkrieg'. Ein schöner Fortschritt“, sagt Tramezzini. Heute sei manchmal sogar die BIG beteiligt. „Wir wurden damals nicht einmal durchgestellt.“

    25 und 27 waren Hofer und Tramezzini, als sie vor zwei Jahren Eigensinnig eröffneten. Hofer stand damals als Storemanagerin beruflich an. Tramezzini hatte Stadtplanung studiert und war bereits gutverdienender Prokurist in einer Baufirma. „Aber ich wollte lieber meine kreative, kulturelle Seite ausleben.“ Der Name Eigensinnig ist Programm. „Unsere Elterngeneration hat etwas gemacht, weil es gut in der Außenwirkung war oder für eine schöne Pension. Wir verdienen unser Geld, indem wir leben, wie wir leben.“ In der Freizeit genießen die beiden ihre „Ruhe als Paar“. „Ich weiß, das klingt komisch aus dem Mund eines 29-Jährigen“, sagt Tramezzini. „Aber wir machen ohnehin die ganze Woche über das, was wir machen wollen.“

    Das gilt auch für Rita Huber. 200 vegetarische Hauptgerichte kocht sie jeden Tag mit ihrem Team, sechs Lastenradfahrer stellen das Bioessen zu. Alles Leute um die 30, sagt sie, „die nicht mehr im Büro sitzen wollen, die etwas mit ihren Händen machen und ihren Körper spüren wollen. Und alle wollen etwas weiterbringen.“ Sei es, gesundes Essen zu verteilen, oder auch nur zu zeigen, was mit Muskelkraft möglich ist. Ein halbes Jahr nach dem Start hat die 25-jährige Geschäftsführerin von „Rita bringt's“ schon einen zweiten Standort im zweiten Bezirk im Auge, bei der Erweiterung des Liefergebiets kann es sich „nur noch um Wochen handeln.“


    Herzrasen. Was sie antreibt? Etwa ihre Radler, die im Regen von einer Fahrt zurückkommen „und immer noch ein Grinsen im Gesicht haben. So wie ich jetzt gerade auch.“ Einsatz, der nicht ohne Folgen bleibt. „Es geht an die eigenen Grenzen“, sagt die Film- und Literaturwissenschaftlerin. Das gilt auch für den Milchbart. Im Sommer ist Christian Chvosta zwei Tage lang mit Herzrasen auf dem Boden seiner Wohnung gelegen. Stammgäste haben den Laden geschupft. „Da denk ich mir: Oida, was für ein Glück hab ich!“

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